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Gericht: Kammergericht Berlin
Beschluss verkündet am 07.07.2008
Aktenzeichen: 12 U 138/08
Rechtsgebiete: StVO
Vorschriften:
StVO § 25 Abs. 3 |
Das Betreten der Fahrbahn durch einen Fußgänger vor einem erkennbar herannahenden Fahrzeug ist grob fahrlässig. Dasselbe gilt, wenn der Fußgänger unmittelbar vor der Front eines haltenden Busses in den benachbarten Fahrstreifen tritt, ohne sicher sein zu können, dass auf diesem kein Fahrzeug (hier: Radfahrer auf Busspur) herannaht.
Überholverbote nach § 5 Abs. 3, 3a StVO schützen nicht Fußgänger, die außerhalb von Fußgängerüberwegen die Fahrbahn betreten.
Kammergericht Beschluss
Geschäftsnummer: 12 U 138/08
07.07.2008
In dem Rechtsstreit
hat der 12. Zivilsenat des Kammergerichts in Berlin durch den Vorsitzenden Richter am Kammergericht Grieß, die Richterin am Kammergericht Zillmann sowie den Richter am Kammergericht Spiegel am 7. Juli 2008 beschlossen:
Tenor:
1. Der Senat beabsichtigt einstimmig, die Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 ZPO zurückzuweisen.
2. Der Berufungskläger erhält Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang dieses Beschlusses.
Gründe:
Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
I.
Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.
1. Die Klägerin meint auf S. 2 der Berufungsbegründung, das Landgericht habe es dahinstehen lassen, von welcher Seite sie die Fahrbahn betreten habe.
Dies ist ausweislich der Urteilsgründe falsch.
Denn auf S. 4 des angefochtenen Urteils ist ausgeführt:
"Vielmehr hat die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts die Straße vom Mittelstreifen aus überquert, ist zwischen dem vor einer roten Ampel haltenden Verkehr hindurch gelaufen und hat somit durch ihr Betreten der Fahrbahn die Kollision mit dem Beklagten selbst schuldhaft verursacht. ..."
Diese Überzeugung stützt das Landgericht dann auf die Aussage des als Zeugen vernommenen Busfahrers ... ; nach dessen Aussage vor dem Landgericht am 23. April 2008 in Verbindung mit dessen schriftlicher Erklärung gegenüber der Polizei vom 5. Juli 2007 ist die Klägerin am 1. Juli 2007 von links vom Mittelstreifen kommend unmittelbar vor seinem Bus vorbei gelaufen.
2. Die Klägerin wendet sich ferner gegen die Auffassung des Landgerichts (UA 4 f.), sie als Fußgänger hätte gegen ihre Pflichten aus § 25 Abs. 3 StVO grob fahrlässig verstoßen.
Sie meint, der Schutzzweck der Vorschrift liege nicht darin, das Überqueren in einem Abstand von 43 m vor einer Ampel mit Fußgängerüberweg zu verbieten, wenn "erkennbar sämtliche Fahrzeuge auf der Straße vor einer Ampel stehen" (S. 3 der Berufungsbegründung).
Diese Auffassung teilt der Senat nicht.
a) Nach § 25 Abs. 3 StVO dürfen Fußgänger - wenn es die Verkehrslage erfordert - die Fahrbahn nur an Kreuzungen oder Einmündungen, an Lichzeichenanlagen innerhalb von Markierungen oder auf Fußgängerüberwegen (Zeichen 293) überschreiten.
Zutreffend hat das Landgericht (UA 5) festgestellt, dass die Klägerin gegen diese Vorschrift grob fahrlässig verstoßen hat.
Die Wahl der Übergangsstelle ist für den Fußgänger dann beschränkt, wenn es die Verkehrslage erfordert, also bei dichtem Fahrverkehr, hoher Geschwindigkeit der Fahrzeuge, Beschränkung der Sichtverhältnisse oder wenn das Überqueren aus sonstigen Gründen mit besonderen Schwierigkeiten und Gefahren verbunden ist (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 25 Rn 43; Janiszewski u.a., Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., StVO § 25 Rn 13).
Im Streitfall herrschte zweifellos dichter Fahrverkehr, der sich vor roter Ampel gestaut hatte; allein der Umstand, dass mehrere, nicht alle, Fahrzeuge standen (nach Aussage der Klägerin vor dem Landgericht kam der Bus des Zeugen ... "in der rechten Geradeausspur angefahren" und "fuhr gerade langsam an die davor haltenden Busse heran") machte die Situation nicht weniger gefährlich; denn auch vor roter Ampel verkehrsbedingt haltende Fahrzeuge können jederzeit vorrücken oder wieder anfahren, wobei der Fußgänger den entsprechenden Zeitpunkt nicht abschätzen kann, so dass es erfahrungsgemäß wiederholt zu Unfällen kommt, wenn Fußgänger unmittelbar vor der Front haltender Fahrzeuge die Fahrbahn überqueren (vgl. nur Senat, Urteil vom 10. November 1997 -12 U 5774/96 - VersR 1999, 504 = DAR 1999, 115 = NZV 1999, 329; KG, Urteil vom 21. Dezember 2006 - 22 U 94/05 -).
Zwar hat sich dieses Risiko hier nicht verwirklicht, belegt aber die generelle Gefährlichkeit der Verkehrslage.
Diese ist nämlich auch dadurch gekennzeichnet, dass der Fußgänger, der zwischen haltenden größeren Fahrzeugen die Fahrbahn überquert, den nächsten Fahrstreifen nicht einsehen kann, was nach dem vom Landgericht für bewiesen angesehen Unfallhergang hier zum Unfall geführt hat.
Erfordert nach § 25 Abs. 3 StVO die Verkehrslage das Überqueren der Fahrbahn durch Fußgänger an ampelgeregelten Fußgängerüberwegen, ist der Fußgänger verpflichtet, einen von der Unfallstelle nur 39 - 43 m entfernten ampelgeregelten Fußgängerüberweg zu benutzen (so BGH, Urteil vom 27. Juni 2000 - VI ZR 126/99 - MDR 2000, 1189). b) Selbst wenn aber die Klägerin aufgrund der gegebenen Verkehrslage nicht gehalten war, die Fahrbahn an dem ca. 15 bis 43 m entfernten Fußgängerüberweg zu überqueren, ist das angefochtene Urteil im Ergebnis richtig.
Die Auffassung der Klägerin in ihrer persönlichen Anhörung vor dem Landgericht, sie habe das Überqueren der Straße in der ihr erinnerlichen Situation als völlig ungefährlich erachtet, hat sich als falsch erwiesen; denn die Gefahr in einer derartigen Situation liegt gerade darin, dass der Fußgänger die Verkehrssituation nicht zuverlässig einschätzen kann. Auch die Klägerin war im Streitfall hierzu nicht in der Lage.
Träfe die Unfalldarstellung der Klägerin tatsächlich zu, dass sie über den Kurfürstendamm wieder zurück zum Mittelstreifen hat gehen wollen (vg. Anlage BK 1), so hätte sie den auf der "Busspur" von links mit dem Fahrrad herannahenden Beklagten ohne weiteres erkennen können und hätte in dieser Situation auf keinen Fall die Fahrbahn betreten dürfen. Denn das Betreten der Fahrbahn durch einen Fußgänger vor einem erkennbar herannahenden Fahrzeug ist grob fahrlässig (vgl. nur Senat, KGR 2002, 266 = VersR 2000, 340 = NZV 2000, 380; KGR 2002, 366 = VersR 2003, 340 = NZV 2003, 380 sowie Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., StVO § 25 Rn 53 m. w. N.).
Geht man mit dem Landgericht von der Darstellung des Zeugen ... (und des Beklagten) aus, dass die Klägerin vom Mittelstreifen her unmittelbar vor der Front des Busses des Zeugen die Fahrbahn überquert hat, hätte sie nicht aus ihrer Position vor dem Bus im mittleren Fahrstreifen in den rechten Fahrstreifen ("Busspur") treten dürfen, ohne sicher sein zu können, dass auf diesem Fahrstreifen kein Fahrzeug herannaht. Wenn sie dennoch diesen Fahrstreifen betritt, ist dies gleichfalls als grob fahrlässig zu werten (vgl. Hentschel, a.a.O.).
3. Die Klägerin hält es auf S. 4 ihrer Berufungsbegründung für unvertretbar, jede Mithaftung des Beklagten am streitgegenständlichen Unfall zu verneinen, denn dieser habe gegen § 5 Abs. 3 StVO und § 2 Abs. 4 Satz 4 StVO verstoßen.
Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen.
a) Das Argument der Klägerin, der Beklagte müsse für ihren Schaden (mit-) haften, weil er gegen die Regeln zum Überholen, insbesondere das Überholverbot des § 5 Abs. 3 StVO verstoßen habe, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg.
Denn die Überholverbote nach § 5 Abs. 3, 3a StVO schützen zwar den Gegenverkehr, Vorausfahrende und den nachfolgenden Verkehr, der durch falsches Überholen gefährdet werden kann (vgl. nur Hentschel, a.a.O., StVO § 5 Rn 33), nicht aber die Fußgänger, die außerhalb von Fußgängerüberwegen die Fahrbahn überqueren.
Ein Überholverbot zum Schutze von Fußgängern besteht nach § 26 Abs. 3 StVO lediglich an Fußgängerüberwegen.
b) Soweit die Klägerin auf S. 6 f. der Berufungsbegründung meint, eine Mithaftung des Beklagten folge daraus, dass er "an einer für Radfahrer nicht vorgesehenen Stelle zwischen BVG-Bussen fuhr, was ihm nach der StVO nicht erlaubt gewesen ist", so kann sich der Senat dem nicht anschließen.
Zweifellos durfte und musste der Beklagte die Fahrbahn benutzen, die die Klägerin nur nach Maßgabe des § 25 Abs. 3 StVO betreten durfte.
§ 2 Abs. 4 Satz 4 StVO, dessen Inhalt die Berufung auf S. 5 unrichtig beschreibt, ist im vorliegenden Fall nicht einschlägig; er lautet:
"Sie dürfen ferner rechte Seitenstreifen benutzen, wenn keine Radwege vorhanden sind und Fußgänger nicht behindert werden."
In § 2 Abs. 1 Satz 2 StVO heißt es: "Seitenstreifen sind nicht Bestandteil der Fahrbahn".
Unstreitig hat sich der Unfall vom 1. Juli 2007 nicht auf einem "Seitenstreifen" im Sinne des § 2 StVO ereignet, sondern auf der Fahrbahn, nämlich nach der Aussage des Zeugen ... "in Höhe der rechten vorderen Ecke meines Busses (schriftliche Erklärung vom 5. Juli 2007 gegenüber der Polizei).
Soweit die Klägerin meinen sollte, die "Busspur" sei ein "Seitenstreifen" im Sinne des § 2 StVO, trifft dies nicht zu (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 2 StVO und zum Begriff näher: Hentschel, a.a.O., § 2 Rn 25)
c) Im Übrigen nimmt der Senat zur Frage der Mithaftung des Beklagten bezug auf die zutreffenden Ausführungen auf S5 f. des angefochtenen Urteils mit der Ergänzung, dass der Beklagte nicht damit rechnen musste, dass unmittelbar vor der Front des Busses des Zeugen ... (Berolinabus der Stadtrundfahrt und nicht - wie auf S. 7 der Berufungsbegründung - BVG-Bus) ein sorgloser Fußgänger die Fahrbahn überqueren würde.
II.
Im Übrigen hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung, und eine Entscheidung des Senats zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist nicht erforderlich.
III.
Es wird daher angeregt, die Fortführung der Berufung zu überdenken.
Ende der Entscheidung
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